Seenotrettung auf dem Mittelmeer

„Die Alternativen will ich gar nicht wissen“

Auf Einladung des Hilpoltsteiner GRÜNEN Ortsverbands berichtete der Grüne Landtagsabgeordnete und Rettungssanitäter Andreas Kahl von seinen Erlebnissen auf dem RETTUNGSSCHIFF Sea Eye 4 im Sommer 2021. 

Den Einstieg machte Andreas Krahl mit einigen Fakten zur Fluchtursache und -route (Libyen als aktuell einziges Transitland zwischen Zentralafrika und dem Mittelmeer, weil aufgrund der innenpolitischen Situation keine Grenzsicherung stattfindet) und ein paar Zahlen über die Erfolgsaussichten dieser Fluchtversuche (offiziell stirbt jeder 29., viele Boote werden jedoch gar nicht registriert), bevor er sehr anschaulich den Ablauf seines Einsatzes erzählte. 

Als medizinische Fachkraft verbrachte er mit weiteren „Medics“, wenigen hauptamtlichen Seeleuten und vielen idealistischen Freiwilligen zwischen 19 und über 60 Jahren insgesamt sechs Wochen im Einsatz auf der Sea Eye 4, einem noch jungen (Baujahr 1971) ehemaligen offshore-Versorgungsschiff. Zum Einsatz gehörten Kennenlernen, Knoten-, Feuerlösch- und Erste-Hilfe-Lehrgänge vor Ort, die Inventarisierung der medizinischen Ausrüstung, ein striktes Covid-Testregime, Reparaturen und das eigenhändige An-Bord-Schaffen von knapp 30 Tonnen Proviant für 29 Besatzungsmitglieder und potenziell 400 Gerettete. 

An Bord gab es einen strengen Tagesablauf, täglich wurde jeder mögliche Ernstfall trainiert und in 3-Stunden-Schichten wurde vom „monkey deck“ aus Ausschau nach in Not geratenen Booten gehalten.

Dann, nach wenigen Tagen, bemerkte die Crew dann das, womit die meisten Flüchtlinge ihre Odyssee versuchen: ein kleines Holz-Boot, in dem auf zwei Ebenen (unter dem Boden, vermeintlich sicherer, Frauen und Kinder, oben ohne Sonnenschutz die Männer) insgesamt 29 Menschen hofften, mit einem Kompass, einem Rasenmähermotor und einem 5-Liter-Reservekanister ausgestattet die rund 500 km bis Sizilien oder Lampedusa zu überleben. Übrigens befanden sich unter den Passagieren auch zwei Hochschwangere, zwei Säuglinge und zwei Kleinkinder. „Wenn jemand solch ein Risiko eingeht, welche noch schrecklicheren Alternativen erwarten ihn/sie wohl im Heimatland? Das möchte ich gar nicht wissen“, so Andreas Krahl.

Dieses Mal (vielleicht wegen ihrer geringen Anzahl?) konnten die Schiffbrüchigen fast ohne Probleme in Lampedusa an Land gebracht werden.

Als Landtagsabgeordneter hat Andreas Krahl natürlich auch die politischen Diskussionen um die Mittelmeerflüchtlinge im Blick. Dabei ist ihm vor allem ein Anliegen, dass FRONTEX nicht länger die lybische Küstenwache finanziert, „deren alleinige Aufgabe es ist, Flüchtlinge an der Flucht zu hindern und sie dann teilweise über Jahre in unmenschlichen Lagern wegzusperren“. Stattdessen muss über diplomatische Kanäle mehr Sicherheit und humanitäre Hilfe in Nordafrika ermöglicht werden. Und es sollte selbstverständlich sein, dass Schiffbrüchige gerettet werden – unabhängig von ihrer Hautfarbe.

Zum Abschluss seines Vortrags äußerte Krahl die dringende Bitte, das Schicksal der Flüchtlinge aus Syrien und derer aus der Ukraine nicht mit zweierlei Maß zu messen. „Sie werden Opfer von genau denselben fürchterlichen Raketen“.

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