Das Konzept der Patientenlotsen, vorgestellt von Elmar Stegmeier im Rahmen der Reihe „Grüne Ideenfabrik“
Wohin wendet man sich, wenn das Schicksal zuschlägt?
Wenn man selbst einen Schlaganfall erleidet, wenn das allein erzogene Kind schwer erkrankt, wenn der Partner durch einen Unfall zum Pflegefall wird, wenn man in eine Depression verfällt, werden oft die normalen Alltagstätigkeiten zu enormen, teilweise zunächst unlösbaren Herausforderungen. Sprachverlust, Verkehrsuntüchtigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Überforderung durch Haushalt und Büroarbeit – das alles von einem Tag auf den anderen. … und jetzt?
An dieser Stelle setzte der vom Ortsverband Hilpoltstein der GRÜNEN organisierte Vortrag von Elmar Stegmeier zum Konzept der Patientenlotsen an. Herr Stegmeier beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der Thematik der Patientenlotsen, entwickelt Methoden und Regionalmodelle und hat mit den Schlaganfalllotsen-Projekten in Ansbach und Erlangen bereits konkrete Projekte für einzelne Patientengruppen in Franken umsetzen können.
Worum genau geht es?
Eigentlich gibt es für jegliche Art gesundheitlicher Notfälle eine Vielzahl von Hilfs- angeboten, doch wer schon einmal in einer solchen Situation war, weiß, dass man dann nicht in der Lage ist, diese alle zu finden, zu überblicken oder gar ihre Qualität einzuschätzen. Dazu kommen Anträge auf Sozialleistungen, Pflegegradeinstufungen, Vorsorgevollmachts- und Betreuungsfragen, Essensversorgung, geeignete Transportmittel, Kinderversorgung, Umbau der Wohnung, die dann oft kurzfristig zu erledigen sind. Nebenbei folgen eine Vielzahl von Arzt- und Therapeutenbesuchen, oft in der nächsten oder übernächsten Stadt gelegen, die Einstellung neuer Medikationen und häufig auch die Suche nach wirkungsvollen neuen Therapien.
Die Idee ist so naheliegend wie in Deutschland schwierig umzusetzen:
Warum gibt es nicht für jeden Patienten in komplexer Lebens- und Versorgungssituation einen Patientenlotsen, also eine Person, die im Auftrag des Patienten sämtliche erforderlichen Bereiche organisiert, Termine plant, Gelder beantragt, Betreuung sucht, Reha- und Unterstützungsangebote sichtet, Kontakt mit allen Fachärzten, Therapeuten, Pflegern sowie dem Hausarzt aufrecht erhält? Wichtig ist, dass ein solcher persönlicher Begleiter/Begleiterin unabhängig von jeglichen Interessengruppen agieren kann und auch unabhängig bezahlt wird.
Zudem erfordert die vielfältige Aufgabe – Projektmanagement, Patientenbegleitung, sehr gute regionale Vernetzung und breite Kenntnisse des Gesundheits- und Sozial-wesens – eine solide Fort- und Weiterbildung dieser Patientenlotsen.
38 Modellprojekte, in denen 75.000 Patienten eingeschlossen sind, gibt es aktuell deutschlandweit. Vorreiter war die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, andere Organisationen folgten in mehreren speziellen Indikationen – beispielsweise für Herzinfarkt- und Krebspatienten, oder für Menschen mit psychosozialen Problemen, sprich bei allen Leiden, die zu komplexer Problemlage führen. Schlaganfall-Lotsen setzen bereits bei der Akutbehandlung im Krankenhaus an und begleiten einen Patienten individuell über das kritische erste Jahr hinweg in allen Lebensbereichen. 70 bis 90 Patienten kann so ein Lotse jährlich versorgen, in den bisherigen Modellprojekten kann nur ein geringer Bruchteil der Patienten begleitet werden. Bezahlt werden diese im Moment vor allem durch privates Engagement, Stiftungen, Krankenhäuser, Fördermittel und vereinzelt schon durch Krankenkassen.
Ziel all dieser Projekte ist es, diese neue individuelle Versorgungsform der Patientenlotsen in die durch Krankenkassen finanzierte Regelversorgung zu überführen. Dieses Ziel haben auch wir GRÜNEN uns ins Bundestagswahlprogramm geschrieben.
Auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte ist, so Stegmeier, eine übergeordnete „Wissensbasis“ und Koordination für alle Unterstützungs- und Hilfsangebote erforderlich. Ein solches ‚Koordinierungsbüro Gesundheit‘ wäre eine zentrale Forderung für eine regionale, integrierte Versorgung.
Und weil es daneben genug Menschen gibt, die in ebenso komplexen Lebenssituationen stehen, jedoch nicht akut im Krankenhaus behandelt werden müssen und dadurch nicht auf dem Radar der spezialisierten Lotsen erscheinen, ist es sinnvoll, ergänzend eine Anlaufstelle pro Ort (9-15.000 Menschen) zu schaffen, besetzt durch einen gut sozial vernetzte/r „Kümmerer“, der/die aktiv auf Betroffene zugeht und ihnen niederschwellig persönliche Hilfe anbietet bzw. sie an entsprechende spezialisierte Lotsen oder regionale Pflegestützpunkte weiterleitet.
Der Ortsverband der GRÜNEN setzt sich dafür ein, dass solche Hilfsangebote auch für die Hilpoltsteiner Bürgerinnen und Bürger etabliert werden.
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